PRO ASYL | Was wir tun

2018-12-21 12:33:30:

So sieht Merkels »nationale Kraftanstrengung« Abschiebung in der Praxis aus

Um Menschen abzuschieben sind den hiesigen Behörden mittlerweile viele
Mittel recht. Unterstützung finden sie dabei nicht nur in Merkels
Aussagen
,
sondern auch bei Innenminister Seehofer, der im Juli feixend seine
Befriedigung über die Abschiebung von 69 Menschen nach Afghanistan
kundtat – von denen sich einer nur kurz später das Leben
nahm.

ARTIKEL

Seehofers 69

Wer waren diese Menschen? Eine ZEIT-Reportage

Während dieser Fall eine breite Öffentlichkeit bekam, gilt das für viele
andere Abschiebungen nicht. Tagtäglich – oder besser nachtnächtlich –
werden in Deutschland Menschen von Polizeikräften zu Hause abgeholt und
abgeschoben. Ohne Rücksicht auf Verluste. Wir und unsere Kolleg\*innen
in den Landesflüchtlingsräten bekommen die Folgen davon täglich mit.

Um zu zeigen, was es heißt, wenn das Programm »konsequent abschieben«
Realität wird, dokumentieren wir an dieser Stelle einige der Schicksale
aus der letzten Zeit:

(1) Abschiebung aus dem Kindergarten {style=“text-align: justify;“}

Frau Manneh\* lebt bereits seit zehn Jahren in Deutschland. Wie immer
bringt sie ihre Tochter Aminata\* am Morgen in den Kindergarten. Danach
geht sie einkaufen. Ihre beiden älteren Kinder nimmt sie mit, da gerade
Schulferien sind. Doch als die drei nach Hause zurückkehren, wartet die
Polizei bereits vor der Haustür. Völlig unerwartet sollen sie nach
Gambia abgeschoben werden. Um auch noch Aminata einzusammeln, fahren die
Polizist\*innen anschließend mit ihnen in den Kindergarten.

Eine Erzieherin aus dem Kindergarten wendet sich später an PRO ASYL und
berichtet uns von dramatischen Szenen: »Es war gerade Mittagessenszeit,
als eine Polizeibeamtin mit der weinenden Frau Manneh herein kam und
nach Aminata suchte. Diese klammerte sich sofort an mein Bein und ich
musste sie davon überzeugen, mit in das Auto zu steigen«.

»Die Polizei kommt und dann kommt man nie mehr wieder«

Alle drei Kinder sind in Deutschland geboren und waren noch nie in
Gambia. Als ihr Vater, der aufgrund einer Duldung zunächst in
Deutschland bleiben darf, von der anstehenden Abschiebung seiner Familie
hört, fährt er von der Arbeit direkt zur Polizeistation. Auch hier geht
es herzlos zu: Ihm wird nicht erlaubt, sich von seinen Kindern und
seiner Partnerin zu verabschieden. Auch Geld darf er seiner Familie
keines mitgeben.

Der Elternbeirat schickt nun Geld an Frau Manneh, damit sie sich
zumindest für die erste Zeit eine Unterkunft leisten kann. Die
Erzieherinnen sind währenddessen damit beschäftigt, mit den anderen
Kindern die Geschehnisse aufzuarbeiten. Sie berichten uns, dass viele
Kinder danach gesagt hätten: »Die Polizei kommt und dann kommt man nie
mehr wieder«.

PRESSE

Flüchtlingsrat Thüringen

Werdender Vater während der Geburt seines Kindes aus dem Krankenhaus
Saalfeld abgeschoben

(2) Abschiebung während der Geburt des Kindes

Ähnlich unglaublich ist ein Bericht aus
Saalfeld
,
den der Flüchtlingsrat Thüringen dokumentiert hat: Gegen zwei Uhr Nachts
wird Herr Ibrahim* von acht Polizist*innen aus dem dortigen
Krankenhaus abgeholt, während seine Frau bereits die ersten Wehen hat.
Die Behörden wissen von der bevorstehenden Geburt, es liegt auch eine
vorgeburtliche Vaterschaftsanerkennung vor.

Nichtsdestotrotz soll der Betroffene abgeschoben werden, und auch als er
in der Unterkunft nicht aufzufinden ist, wird die Abschiebung nicht
abgebrochen. Er wird trotz des Protestes der Hebammen aus der
Entbindungsstation des Krankenhauses abgeführt und an den Flughafen in
Frankfurt verbracht. Als der Betroffene sich gegen die Abschiebung
wehrt, wird die Prozedur dort endlich abgebrochen und der werdende Vater
kann zurück zu seiner schwangeren Frau.

NEWS

Bild/Foto

Zum Lesen klicken

Menschen, die wir schützen müssen

Die Geschichte von Hasmatullah Fazelpur aus Afghanistan

(3) Immer mehr rechtswidrige Abschiebungen

Vermehrt kommt es durch den Druck, möglichst viele Abschiebungen
durchzuführen, auch zu klar rechtswidrigen Aktionen der Behörden. So
wurde im November durch das Regierungspräsidium Gießen ein Jeside nach
Russland
abgeschoben
,
obwohl er nie über die Ablehnung seines Asylantrags informiert worden
war. Da er nicht fristgerecht dagegen klagen konnte, muss er nun
zurückgeholt werden. Ebenso wie Hasmatullah
Fazelpur
,
der trotz eines laufenden Klageverfahrens nach Bulgarien und von dort
sogar weiter in den Verfolgerstaat Afghanistan abgeschoben wurde.

PRESSE

Sachsen muss Familie unverzüglich zurückholen

Erneute rechtswidrige Abschiebung

Ähnliches geschieht einer syrischen Familie mit drei Kindern, über die
der Sächsische Flüchtlingsrat
berichtet:

Familie Mohammedi\* soll nach dem Willen des Bundesamtes für Migration
und Flüchtlinge (BAMF) aus Sachsen nach Rumänien zurückgeschickt werden,
da sie dort – auf dem Papier – subsidiären Schutz erhalten hat. Die
aufschiebende Wirkung ihrer Klage gegen diesen Bescheid wird gar vom
Verwaltungsgericht in Dresden bestätigt. Dennoch lässt das BAMF den
sächsischen Behörden eine Fehlinformation über diese aufschiebende
Wirkung zukommen und gibt die Abschiebung damit frei. Über einen Monat
müssen die Mohammedis sich in Rumänien durchschlagen und wohnen anfangs
sogar ohne Obdach im Park, bis der Rumänische Flüchtlingsrat ihnen eine
Unterkunft in einer Garage organisieren kann. Zwei Gerichtsverfahren
sind nötig, damit die Dresdner Zweigstelle des Bundesamtes den Fehler
zugibt und den Weg für eine Rückholung der
Familie

frei macht.

Diese Fälle zeigen: Die Zahl der rechtswidrigen Abschiebungen nimmt zu.
Herr Fazelpur, der jesidische Flüchtling aus Russland und die syrische
Familie konnten (vorerst) gerettet werden, weil es engagierte
Unterstützer\innen gab. Da nicht alle Geflüchteten über Kontakte zu
erfahrenen Anwält\
innen oder Beratungsstrukturen verfügen, ist aber zu
befürchten, dass dies noch häufiger vorkommt.

Abschiebung: Zehn Geschichten.

(4) Mit der Kanüle im Hals ins Heimatland

Aber nicht nur laufende Klageverfahren werden mittlerweile ignoriert,
auch ärztliche Bescheinigungen sind für Behörden häufig kein
Abschiebehindernis mehr. Trotz eines aktuellen
Reiseunfähigkeit-Attestes einer Ärztin für Strahlentherapie wird Herr
Khorkadadze\* Anfang September aus Hessen nach Georgien abgeschoben.
Mitten in der Nacht und nach Schilderung seiner Ehefrau, die alleine in
Deutschland zurückblieb, fast unbekleidet. Dafür mit Kanüle im Hals,
Katheter in der Bauchdecke – und vor Ende seiner Strahlentherapie.

Während seines Aufenthaltes in Deutschland wurde bei ihm nämlich ein
komplizierter Tumor im Kopf-Hals-Bereich diagnostiziert. Nach mehreren
Operationen folgten eine Chemo- und letztlich Strahlentherapie in einem
hessischen Krankenhaus, er musste über eine Magensonde ernährt werden.
Als sich sein Zustand langsam stabilisiert, wird er völlig unerwartet
abgeschoben. Auch ein telefonischer Protest der behandelnden Ärztin beim
zuständigen Richter hat keinen Erfolg.

Nach Ende der Verhandlung warten bereits Polizei und Mitarbeiter der
Ausländerbehörde. Frau Amooti wird durch den Hinterausgang des Gerichts
geführt und zum Flughafen transportiert.

(5) Abschiebung aus dem Gericht

Der Bayerische Flüchtlingsrat
informiert

im September über das Schicksal von Frau Amooti\* aus Uganda. Sie lebt
seit rund 14 Jahren in Deutschland, ist sehr gut integriert, spricht
deutsch und ist ehrenamtlich aktiv. Ihr Antrag auf eine
Aufenthaltserlaubnis für Altfälle wird vor Gericht verhandelt und
negativ entschieden, weil Frau Amooti unterstellt wird, sich lange nicht
um einen Pass bemüht zu haben.

PETITION

Stoppen Sie die Abschiebung von Adet

Inzwischen hat sie den Pass allerdings vorgelegt – und die
Ausländerbehörde nutzt ihn, um der hervorragenden Integration der Frau
noch ein jähes Ende zu setzen: Nach Ende der Verhandlung warten bereits
Polizei und Mitarbeiter der Ausländerbehörde. Frau Amooti wird durch den
Hinterausgang des Gerichts geführt und zum Flughafen transportiert, es
bleibt ihr keine Möglichkeit, ihre Sachen zu ordnen oder sich von ihren
Unterstützer*innen und Freund*innen zu verabschieden. Auch ihr Bargeld
– rund 400 EUR – wird ihr ohne Quittung abgenommen. Als sie sich gegen
die Abschiebung wehrt, wird diese abgebrochen und Frau Amooti in
Abschiebehaft gebracht – für ganze drei Monate. Mittlerweile liegt ihre
Geschichte bei der Härtefallkommission.

(6) Schwangere am Bahnhof sitzen gelassen

Mitte Oktober soll in Rheinland-Pfalz eine iranische Familie nach
Kroatien abgeschoben werden, wie
verschiedene
Medien berichten. Die schwangere Frau
befindet sich zur Diabetes-Behandlung im Krankenhaus. Dort wird sie
nachts aus dem Bett geholt und im Rettungswagen an den Flughafen in
Hannover verbracht – obwohl die Klinik keine Reisefähigkeit attestiert
hatte.

Herr Navid wird daraufhin kurzerhand in die Abschiebehaft
zurückverbracht, Mutter und Sohn lassen die Polizeibeamten einfach am
Bahnhof in Hannover zurück.

Doch damit nicht genug: Die Abschiebung scheitert nur, weil der Pilot
sich weigert, Familie Navid\* zu befördern. Herr Navid wird daraufhin
kurzerhand in die Abschiebehaft zurückverbracht, Mutter und Sohn lassen
die Polizeibeamten einfach unzureichend bekleidet und mit lediglich 100
EUR am Bahnhof in Hannover zurück. Nur dank eines freundlichen
Bahnmitarbeiters kann die schwangere Frau Navid mit ihrem Sohn überhaupt
zurück in die Unterkunft nach Rheinland-Pfalz fahren.

(7) Aus der Reha geholt

Herr Atoev\* aus Zentralasien soll gemäß der Dublin-Verordnung nach
Litauen überstellt werden. Bei einer Ausweiskontrolle springt er in
Panik aus dem Fenster seiner Unterkunft in Bayern und verletzt sich
schwer – er denkt, man wolle ihn abschieben. Nach mehreren Operationen
wird ihm eine dreiwöchige Reha-Maßnahme genehmigt. Die Behörden indes
denken nicht daran, die Abschiebung erst einmal auszusetzen oder auch
nur die Genesung abzuwarten.

Während der Reha-Maßnahmen verschwindet Herr Atoev dann plötzlich aus
der Klinik, ohne dass Pflegepersonal und Unterstützer\*innen wissen, wo
er sich befindet. Am Abend ruft Herr Atoev dann unvermittelt aus Litauen
an: Um 5 Uhr morgens sei er unangekündigt und gegen seinen Willen von
der Polizei aus der Klinik abgeholt worden.

Es stellt sich heraus, dass die Polizei bereits zwei Tage zuvor an der
Rezeption nach seiner Zimmernummer gefragt hat. Dabei wäre die
sogenannte Überstellungsfrist, vor deren Ablauf die deutschen Behörden
eine Abschiebung durchführen müssen, um nicht selber für den Asylantrag
zuständig zu werden, auch nach Ende der Reha-Maßnahme noch nicht
abgelaufen.

Nach kurzer Zeit wird Herr Atoev von Litauen in sein Herkunftsland
abgeschoben.

PRESSE

Vorweihnachtliche Abschiebung aus Schule und Kindergarten

Baden-Württemberg schiebt entgegen Aussagen der Landesregierung aus
Bildungseinrichtungen ab

(8) Abschiebung statt Unterricht

Der 11-jährige Mergim\* geht in Baden-Württemberg zur Schule – bis
Anfang Dezember die Polizei im Unterricht erscheint und ihn mitnimmt.
Mergim hat allerdings ebenso wenig etwas angestellt, wie seine Schwester
Besjana\* (6), die zeitgleich aus dem Kindergarten abtransportiert wird.
Zusammen mit ihren Eltern und einem weiteren Geschwisterchen werden die
beiden nach Albanien abgeschoben, während Lehrer\innen und
Sozialarbeiter\
innen alle Hände voll zu tun haben, die verstörten
Mitschüler und Freund\*innen zu beruhigen, wie der Flüchtlingsrat
Baden-Württemberg
berichtet.

(9) Ein Beispiel von vielen: Gut integriert ab nach Afghanistan

Jeden Monat aufs Neue werden Menschen nach Afghanistan abgeschoben. Seit
dem Sommer handelt es sich dabei meist überwiegend
nicht
,
wie oft behauptet, um Straftäter oder Gefährder. Exemplarisch für all
diese Fälle informiert der Sächsische
Flüchtlingsrat

über Herrn Massud\*, der im Dezember aus Zwickau abgeschoben wird.

»Ein junger Mann und ein zuverlässiger Mitarbeiter, der sich nie was
zu Schulde hat kommen lassen, wurde von einem Tag auf den anderen aus
seinem neu aufgebauten Leben gerissen.«

»Ein junger Mann und ein zuverlässiger Mitarbeiter, der sich nie was zu
Schulde hat kommen lassen, wurde von einem Tag auf den anderen aus
seinem neu aufgebauten Leben gerissen. Wir verlieren mit ihm einen
wunderbaren Mitarbeiter«, schreibt sein Arbeitgeber über Herrn Massud,
der schon knapp fünf Jahre in Deutschland gelebt hatte und in
psychiatrischer Behandlung war. Weder seine Erkrankung, noch dass er
trotzdem in Vollzeit arbeitete, waren für die Behörden allerdings
Gründe, ihn nicht abzuschieben.

PRESSE

Gemeinsame Erklärung zum Tag der Menschenrechte 2018

AK Asyl – Flüchtlingsrat RLP e.V. – Initiativausschuss für
Migrationspolitik in RLP

(10) Kleine Kinder gewaltsam aus dem Schlaf geholt

Auch das, was der Initiativausschuss Migrationspolitik Rheinland-Pfalz
aus dem Rhein-Hunsrück-Kreis
berichtet
,
ist – leider – nur ein Beispiel von vielen. Mittlerweile ist die
nächtliche Abschiebung gängige Praxis. Auch auf kleine Kinder wird da
keine Rücksicht genommen: Anfang November bricht die Polizei die
Zimmertüren der Unterkunft von Familie Hagopian\* aus Armenien auf – um
vier Uhr nachts, als die Eltern und ihre drei Kinder, das jüngste gerade
einmal sieben Monate alt, noch schlafen. Dazu kommt: Der Familienvater
ist erst am Vortag aus einer psychiatrischen Klinik entlassen worden, in
der er wegen akuter Suizidalität in Behandlung war. Was derlei
Erlebnisse für Auswirkungen auf die Psyche des Vaters, aber auch der
Kleinkinder haben können, scheint den Behörden dabei einerlei zu sein.

Diese zehn Geschichten stehen sinnbildlich für die brutalisierte
Abschiebepraxis. Sie machen deutlich, welches Gesicht Deutschland zeigt,
wenn dem Druck von Fremdenfeinden und Rechtspopulist\*innen nachgegeben
wird.

Zehn beispielhafte Schicksale

Man mag sich kaum ausmalen, welche Folgen die nächtlichen,
überfallartigen Abschiebungen aus geschützten Räumen wie der eigenen
Wohnung oder gar dem Krankenhaus auf die betroffenen Menschen haben.
Menschen, denen in ihrem Leben ohnehin häufig schon die schlimmsten
Dinge widerfahren sind.

Diese zehn Geschichten stehen sinnbildlich für die brutalisierte
Abschiebepraxis. Sie machen deutlich, welches Gesicht Deutschland zeigt,
wenn dem Druck von Fremdenfeinden und Rechtspopulist\*innen nachgegeben
wird.

(mk / ch)

*alle Namen geändert

https://www.proasyl.de/news/so-sieht-merkels-nationale-kraftanstrengung-abschiebung-in-der-praxis-aus/
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www.proasyl.de

[‚loma]

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